Kurzer Besuch – große Wirkung

Dänische Butterkekse in Papierförmchen nebeneinander aufgereiht
Bild von Steve Adcock auf Pixabay

Vor Kurzem habe ich meine Mutter besucht. Zwischen uns liegt eine Distanz von ca. zwei Autostunden, weshalb ein Besuch immer mit Aufwand verbunden ist. Ich brauchte noch ein paar Unterlagen, da ich vor einigen Jahren ihre gesetzliche Betreuung übernommen habe, und wollte ihr ohnehin einfach mal wieder einen Besuch abstatten. Der (Teil-)Lockdown macht uns ja allen etwas zu schaffen und besonders den Menschen, die auch ohne Lockdown viel alleine sind. So eben auch Ema.

Da ich gerade auf der Durchreise war, und ohnehin quasi bei ihr vorbeifuhr, konnte ich also drei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Und ich habe mich wirklich drauf gefreut! Seit ich diesen Blog, und damit auch immer wieder über unser Mama-Tochter-Verhältnis, schreibe, ist irgendetwas ins Rollen gekommen. Irgendwie habe ich das Gefühl, ich schaue auf die ganze Sache jetzt aus zwei verschiedenen Perspektiven. Da ich hier wirklich darauf bedacht bin, einen ehrlichen Einblick in unsere Situation zu geben, versuche ich immer wieder auch die Perspektive meiner Mutter einzunehmen. Und das hilft mir sehr zu verstehen und nachsichtig zu sein (warum bin ich da nicht schon viel früher drauf gekommen?!).

Ich fahre also zu ihr, den Mole im Auto, habe ihr Lieblings-Buttergebäck im Gepäck und freue mich auf eine Tasse Kaffee mit meiner Mutter. Anders als gewohnt geht die Haustür direkt nach dem ersten Klingeln auf (normalerweise warte ich bis zu 5 Minuten vor der Tür und drücke immer wieder genervt und ungeduldig auf die Klingel), hmm, das ist neu. Kaum bin ich allerdings im Haus, höre ich, dass oben in ihrer Wohnung der Staubsauger angeht. Ahh ja, so kenne ich das. Als hätte sie das nicht schon vorher machen können. Mit dem Mole auf der Hüfte gehe ich die Treppen hoch. Und da ist sie auch schon: Meine Mama.

Meine freudige Erwartung wird bei ihrem Anblick leider direkt wieder enttäuscht. Zwar ist sie sichtlich aufgekratzt und mehr als erfreut uns zu sehen, aber die Haare sind fettig und lose in einem Zopf zurück gebunden. Zwischen den Zähnen hängt noch das Mittagessen. Sie trägt den selben blauen Pulli, den sie auch bei sämtlichen unserer Video-Telefonaten anhatte gepaart mit einer verwaschenen Jeans, die ihr eigentlich ein bisschen zu groß ist. Das Outfit ist einfach ein bisschen schäbig. Modrig. Ich muss erstmal schlucken und tiiieeef durchatmen. Ganz ehrlich gesagt fällt es mir sehr schwer, ihr in diesem ungepflegten Zustand mein Kind auf den Arm zu geben…

Drinnen setzen wir uns in die Küche und Ema bietet mir einen Kaffee an, den ich am Ende dann selbst koche. Aber hey, immerhin ist sie nicht direkt im Badezimmer verschwunden, das tut sie nämlich sonst fast immer! Als müsste sie vor lauter Freude erstmal einen Rückzugsort finden und sich sammeln. Das kann dann schon mal eine halbe Stunde dauern und niemand weiß, was sie da drin eigentlich macht. Ich glaube sie selber weiß es auch nicht genau. Zurück zum Kaffee! Der Mole schaut anfänglich noch etwas schüchtern in der Küche herum und traut sich kaum von meinem Schoß runter. Als ich ihm ein Küchenutensil in die Hand drücke, ist das Eis jedoch schnell gebrochen und der kleine Mann tappst zum Kühlschrank und räumt erstmal alle Magneten ab, die ihn freundlich anlächeln (es sind Smiley-Magnete).

Und schwups die wups, sitzt meine Mutter auch schon neben ihm auf dem Boden. Sie redet und spielt mit ihm und ehe ich mich versehe, marschieren die beiden schon durch die Küche. Ema stolz wie Oskar und sichtlich überglücklich mit dem Enkel im Schlepptau, und auch der Mole ist offensichtlich ganz zufrieden und freut sich seinerseits über jeden Schritt an Omas Hand (er lernt gerade laufen).

Ich kann mich noch nicht so richtig entspannen, aber ich bringe es auch nicht übers Herz, meiner Mutter den Mole wieder „wegzunehmen“. Und beide sehen schlicht glücklich aus. Der Kaffee ist fertig und wir setzen uns an den Tisch. Ema nimmt den Mole entschlossen auf ihren Schoß. Und ich muss sagen, die folgende Szene hat mich etwas verblüfft. Da sitz also mein Sohn im Schoß meiner Mutter, die beiden haben sich vielleicht 6 oder 7 Mal gesehen, und fühlt sich pudelwohl. Er kuschelt sich sogar richtig bei ihr ein(!) und sitz ganz ruhig und zufrieden da und spielt mit seinem Teigschaber.

Ich beobachte die beiden und frage mich allen Ernstes wie das sein kann?! Ich sehe meiner Mutter schon sehr ähnlich, ob ihm das vielleicht Sicherheit gibt? Ob er merkt, dass Ema Kinder LIEBT und ihm das die Unsicherheit nimmt? Ich fische nach Erklärungen und sollte stattdessen vielleicht einfach akzeptieren und mich freuen, dass die beiden so eine gute Zeit haben. Ich bin, wenn auch nicht böswillig, von Ema schon oft enttäuscht worden. Wahrscheinlich möchte ich den Mole vor ebendieser Enttäuschung schützen und kann deshalb mein Kind nicht immer leichten Herzens meiner Mutter anvertrauen. Eigentlich fast nie. Vielleicht wünsche ich mir insgeheim sogar, dass er gar nicht erst zu ihr will, und ich ihn somit auch nicht zurückhalten muss?! Gleichzeitig habe ich mir vorgenommen, dass ich einem guten Oma-Enkel Verhältnis nicht im Weg stehen möchte, nur weil mein Mama-Tochter Verhältnis kompliziert ist. Ihr seht, die Sache ist verzwickt.

Eine weitere Situation dieses Nachmittags ist mir in guter Erinnerung geblieben: Meine Mutter blüht richtig auf in ihrer Oma-Rolle, sie genießt den kleinen Mann so sehr und schleppt ihn durch die ganze Wohnung. Hat ihn fest im Griff und auf ihrer Hüfte sitzen. Ich kann ihr richtig ansehen, wie wohl sie sich in diesem Moment fühlt. Wie stolz sie ist. Ich kann erahnen, wie sehr sie diese Momente geliebt hat, als wir noch klein waren. Sie strahlt aus ihrem tiefsten Innern und übers ganze Gesicht!! Und meinem Sohnemann geht es blendend. Der lässt sich mit wehenden Haaren von der Oma rumschleppen als wäre es das Normalste auf der Welt.

Auch jetzt geht mir dieses Bild einfach nicht aus dem Kopf. Es rührt mich zutiefst und macht mich gleichzeitig unendlich traurig, weil ich weiß, wie sehr meine Mutter gerne immer diese Mutter gewesen wäre, die ihre Kinder fest im Griff hat und wie sehr ich damit zu kämpfen hatte, dass sie es nicht war.

Aber eine Sache, und hier knüpfe ich nochmal an die zwei Perspektiven an, ist mir ganz deutlich geworden. So wenig ich mich in manchem Dingen auf meine Mutter verlassen kann, so wenige Ansprüche stellt sie auch an uns!

Ema ist der letzte Mensch, der in irgendeiner Form nachtragend wäre. Sie ist mit allem zufrieden, stellt keine Ansprüche, auch nicht für die Feiertage. Wenn wir sie mit einplanen, gut, wenn nicht, auch okay. Sie hat sich noch nie beschwert, dass wir sie nicht oft genug besuchen kommen (und das obwohl ich wirklich öfter hinfahren könnte). Sie ist zwar nicht die Mutter, die einem das Lieblingsessen kocht, wenn man zu Besuch ist, aber sie hat immer mehr als genug an Keksen, frischem Brot und allerlei Gebäck da. Sie macht sich keinen großen Aufwand, aber dafür bleibt es auch entspannt, weil alle zufrieden sind solange es Kaffee gibt. Und den gibt es bei ihr immer reichlich und in allen Variationen: Filterkaffee, French-Press Kaffee, Kaffee aus dem Espressokocher, aus der Pad-Maschine oder löslich. Was das Herz begehrt.

Noch dazu ist sie eigentlich fast immer in einem Zustand der Glückseligkeit. Sie ist einer der wenigen Menschen, die sich wirklich noch von ganzen Herzen – und manchmal wie ein kleines Kind – über kleine Mitbringsel und Geschenke freuen kann. Und auch wenn sie sich manchmal in Sprüchen der Ermutigung an sich selbst verliert, so ist sie doch eigentlich meistens optimistisch und gut gelaunt.

Meine Schwester hat es neulich ganz passend formuliert:

„Aber sie ist halt auch kein negativer Mensch, das finde ich immer wieder gut an ihr. Sie jammert nicht. Sie lebt zwar schon in ihrer eigenen Welt aber sie jammert auch nicht. Und das ist auch irgendwie eine schöne Eigenschaft an ihr. Und außerdem finde ich es einfach cool, dass ich weiß, wenn ich zu ihr komme, dass sie immer Kaffee oder Tee da hat, und das nicht zu knapp, dass ich immer schottische Kekse essen kann, die ich nur bei ihr esse, und dass sie sich immer auch freut uns zu sehen. [Auch wenn sie oft anstrengend ist und man manchmal traurig wird bei ihrem Anblick, (von der Autorin hinzugefügt)], kann sie auch sehr süß sein und liebenswürdig.“

Und so wurde ein kurzer Besuch zu einer echten Offenbarung. Ema hat wirklich ihre liebenswerten Seiten, die leider nicht immer ihr oft herausforderndes Verhalten wettmachen, aber diesem sicherlich positiv entgegenstehen. Ich habe mir vorgenommen, mir dies in Zukunft öfter vor Augen zu führen.++

2 Kommentare zu „Kurzer Besuch – große Wirkung

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