Kleine Tücken des Minimalismus?

Grüner Stuhl vor einer leeren weißen Wand
Photo by Paula Schmidt on Pexels.com

Ich muss schon sagen, der Minimalismus fasziniert mich irgendwie. Obwohl ich von einem minimalistischen Lebensstil weit entfernt bin, bin ich auf jeden Fall ein absoluter Fan von weniger ist mehr und werde fast ein bisschen neidisch, wenn Menschen berichten wie erleichtert sie sich fühlen, seit sie all die überflüssigen Dinge ih ihrem Leben weggegeben haben. Schaue ich etwa eine Doku zum Thema, kriege ich direkt Lust auch loszulegen. Kaum ist der Fernseher aus, wandert mein Blick durchs Zimmer: Was kann weg? Ich laufe durch die Wohnung und bin regelrecht auf der Suche nach Dingen, die ich loswerden könnte. Irgendwas findet sich eigentlich immer und ich mache kleine Stapel oder Kisten mit Sachen, die ich nicht mehr brauche. Haaa…. wie erleichternd.

Wohin mit meinem Überfluss?

Aber dann geht es schon los und ich habe so meine Probleme mit dem Minimalismus. Was mache ich denn dann mit den Dingen, die ich nicht mehr brauche und die ich soeben aussortiert habe? Einiges werde ich vielleicht online los, was außerdem den Vorteil hat, dass ich noch etwas Geld für meinen Kram bekomme. Manches kann ich vielleicht auch verschenken oder vor die Tür stellen und es freut sich noch jemand darüber. Aber was ist mit den Dingen, die ich wochenlang auf mehreren Plattformen parallel zum Verkauf stehen habe, die aber einfach niemand haben will? Bevor ich sie wegschmeiße, behalte ich sie doch lieber!

Man hört immer wieder von Minimalisten, die viele ihrer Sachen gespendet haben, aber Fakt ist: Bereits vor Corona waren die Second-Hand Läden (zu mindest bei uns in der Gegend) gut gefüllt und haben wenn überhaupt dann höchstens mal ein Designerstück genommen, was aber natürlich nicht das war, was ich loswerden wollte. Annahmestellen wie Oxfam haben ihre Lager bis oben hin voll. Da wird es dann gerade bei Klamotten oft schwierig und man kann beispielsweise nur saisonal passende Kleidungsstücke abgeben. Gemeinnützige Annahmestellen kommen spätestens seit Corona kaum noch hinterher mit dem Sortieren. Außerdem muss man meistens etwas suchen, bis man sie gefunden hat. Kleiderkammern haben geschlossen, auch für Spenden. Bleiben – gerade im Hinblick auf Klamotten – noch die Altkleidercontainer, über die man häufig jedoch eher Negatives hört. Die Klamotten würden nach dem Sortieren so günstig in andere, meist arme Länder, verkauft, dass sie dort Konkurrenzprodukt auf dem nationalen Markt sind und sogar Arbeitslosigkeit verursachen können. Also alles gar nicht so einfach mit dem Dinge loswerden.

Wie viel ist minimalistisch?

Viele Minimalisten berichten häufig davon, dass in der Zeit vor dem Minimalismus häufig von ihrem ganzen Besitz total abgelenkt waren. Dass sie in den Dingen ihre Befriedigung gesucht haben, ihr Glück. Sie kauften immer mehr, in der Hoffnung, dass dieser neue Gegenstand das ersehnte Glück bringen würde, schnell kam die Enttäuschung und der nächste Gegenstand wurde gekauft. Seit sie jedoch Minimalisten sind, seien sie glücklich mit dem Wenigen, das sie besitzen und lebten bewusster und stressfreier. Das klingt ja schonmal ganz verlockend. Aber kann wenig vielleicht auch zu wenig sein? Irgendwie kühl, leer und ungemütlich…?! Mir kommt direkt ein Bild in den Kopf: Ein schneidiger, flacher LapTop, aufgeklappt, auf einem hellen, hölzernen Tisch, neben dran eine Tasse mit Tee oder noch schäumenden Kaffee gefüllt, ein kleines Pflänzchen daneben, welches in seinem saftigen Grün erstrahlt. Vielleicht noch ein Smartphone oder eine Schreibtischlampe im Retro-Look, aber das war es dann auch schon. Alles so makellos. So aufgeräumt. So ambitioniert.

Manchmal wünschte ich, mein Arbeitsplatz (der gerade vom Homeoffice meines Mannes eingenommen ist und deshalb für mich eigentlich gar nicht existiert) sähe genau so aus. An so einem Ort kann man doch bestimmt richtig produktiv sein. Keine Ablenkung. Der Kopf frei. Tatsächlich sitze ich abends meistens an unserem Esstisch, an dem ich mir mühsam ein Eckchen freischaufeln musste. Um das Bild nochmal aufzugreifen: Einen Tee mache ich mir meistens auch, mein Handy liegt meist nicht weit weg und tatsächlich habe ich des öfteren sogar ein paar Blümchen auf dem Tisch. Allerdings geht es dann noch weiter: Babyphone, Snacks, ein Kabel, Kopfhörer, mein Kalender, ein Stift, eine Rolle Klebeband, eine Haarspange und eine Box mit Taschentüchern. Der Becher meines Sohnes, ein paar Bauklötze und noch die elektrische Lock (im Moment der absolute Renner).

Und eigentlich fühle ich mich damit auch ganz wohl. So ein bisschen Chaos macht es irgendwie auch gemütlich. Wenn so gar nichts rumliegen würde, würde mir doch etwas fehlen. Und auch außerhalb des Arbeitsplatzes mag ich es, wenn ein bisschen Zeug rumsteht: Bücherregale mit reihenweise Büchern, DVD-, Whiskey-, Gin-, Musikinstrumente-, Spiele- oder Fotosammlungen, wenn im Herbst ein paar Kastanien auf der Fensterbank liegen, wenn Gewürze getrocknet oder Pflanzen gezogen werden. Wenn Kerzen und Teelichter herumstehen und abends entzündet werden. Dann fühle ich mich so richtig wohl. Jetzt würde der ein oder andere sicher direkt einwenden, dass Minimalismus nicht bedeuten muss, sich von allem zu trennen, oder das es nicht okay wäre, ein Hobby und auch die entsprechende Ausstattung zu haben. Laut Marie Kondo zum Beispiel kann man alles behalten, was Freude bringt, was positive Gefühle in einem auslöst. Jeder muss also irgendwie sein eigenes Maß finden. Ein bisschen Minimalismus und noch ein bisschen mehr. Also Minimalismus – plus vielleicht?

Geschenke und Erbstücke

Wie sieht es mit Erinnerungsstücken oder Geschenken im Minimalismus aus? Ich habe mal von einem Minimalisten gelesen, der beschreibt, wie man mit Erbstücken umgehen kann. Aha, dachte ich mir, das will ich jetzt aber wissen. Tatsächlich war ich etwas ernüchtert als er schreibt, dass er viele Gegenstände aus dem Nachlass seiner Mutter, besonders auch Fotos, in Ruhe an- und durchgeschaut hat, sich seine Zeit mit diesen Erinnerungsstücken genommen und sie quasi nochmal gewürdigt hat und dann, bis auf zwei, drei Dinge, wirklich alles gespendet oder weggeschmissen hat. Einerseits nachvollziehbar: Man kann ja nicht alles behalten, vieles ist wirklich veraltet, vergilbt, riecht muffig oder ist auch schon teilweise kaputt. Andererseits erschien mir dieses Vorgehen irgendwie sehr radikal. Aber vielleicht ist das auch genau richtig so. Die Erinnerung bleibt ja im Herzen.

Aber wie sieht es mit Geschenken aus? Ich schenke gerne gemeinsame Zeit, weil man sich oft zu wenig Zeit für Menschen nimmt. Aber ich freue mich auch riesig, wenn ich Menschen begegne, die noch richtig echte Wünsche haben. Ein bestimmtes Buch, eine CD oder eine ganz bestimmte Tasche. Wo man sich nicht überlegen muss, was man schenken kann und am Ende war es doch das Falsche, sondern wo man jemandem wirklich ganz konkret eine Freude machen kann. Was würde ich denn einem Minimalisten schenken? Wenn man Geschenke für Minimalisten googelt, ist diese Seite unter den ersten Treffern. Gutscheine für Yoga-, Tanz- und Nähkurse, Kaffee, selbstgemachte Leckereien oder Patenschaften für Bienen, Wölfe und andere Tiere. Eigentlich gar nicht so schlecht. Und wesentlich mehr, als ich im ersten Moment dachte. Das wäre vielleicht auch was für nicht-Minimalisten :).

Ein bisschen Minimalismus geht immer

Hast du dir schon mal Gedanken über Minimalismus gemacht oder packt dich auch regelmäßig der Drang, dich von Dingen zu trennen aber du weißt nicht so recht, wo du anfangen sollst? Ich glaube mit dem Minimalismus verhält es sich wie mit den meisten Dingen: Das richtige Maß finden. Den richtigen Mittelweg. Und sich nicht unnötig Druck machen, in ein bestimmtes Schema passen zu müssen. Exzessiv Sport treiben schadet am Ende den Gelenken und lässt uns in anderen Bereichen möglicherweise unflexibel werden. Gar kein Sport zu treiben ist auch nicht gut. Vielleicht ist das mit dem Minimalismus auch so. Die Dinge, an denen man hängt, oder bei denen man sich sicher ist, dass man sie nach dem Studium, auf der nächsten Reise, im neuen Job oder in der nächsten Wohnung auf jeden Fall nochmal brauche kann, die kann man doch wirklich beruhigt aufheben. Die Dinge, die schon seit JAHREN im Keller stehen, die werden da wahrscheinlich auch noch die nächsten Jahre stehen und deshalb können sie eigentlich auch weg. Regelmäßig mal ein bisschen auszusortieren kann nicht schaden. Im Gegenteil. Es tut wirklich richtig gut!

Ich habe mir vorgenommen in Zukunft bereits beim Kauf zu überlegen, ob ich etwas wirklich WIRKLICH brauche, oder ob es eher ein Spontankauf wäre, den ich später vielleicht sogar bereuen würde. Und energischer abzulehnen, wenn mir jemand etwas vermachen will, dass er oder sie nicht mehr braucht, ich aber eigentlich auch nicht. Denn eine Sache zu erwerben ist meist VIEL leichter, als sie hinterher wieder loszuwerden. +++

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